Angela Merkel und Ulrike Meinhof, Marlene Dietrich, Romy Schneider und Twiggy, Claudia Schiffer und Gerhard Schröder: Er kannte alle, alle kannten ihn. Udo Walz war einer dieser immer rarer werdenden Ur-Prominenten, bei denen man sich auch mit Anstrengung nicht mehr erinnern kann, wann man sie wo zum ersten Mal wahrgenommen hatte, Walz schien schlicht immer schon da gewesen zu sein. Und so fest im tiefberlinerischen Personal verankert, dass selbst sein typischer, leicht näseliger Schwabensatzgesang den Glauben nicht erschüttern konnte, er sei auch schon immer hier gewesen, in dieser Stadt, in die er mit seiner sehr direkten Art, dieser speziellen halbschroffen Herzlichkeit, so hervorragend passte. »Sehr klassisch und immer mit viel Volumen« sei die typische Walz-Frisur, sagte er einmal einem Friseurmagazin, und vielleicht beschreibt ihn das auch selbst, als Menschen.
Tatsächlich muss es trotzdem eine Zeit gegeben haben, in der ich nichts von ihm wusste, das beweist ein Bild aus meinem Kunstunterricht, etwa sechste Klasse. Per Los teilte uns der für die unterfränkische Provinz recht progressive Kunstlehrer einen Beruf zu, den wir porträtieren sollten, ich zog »Star-Frisör« – und kleckste, ein eklatanter Irrtum, einen austauschbaren Haareschneider, an dessen Gesicht ich mich heute nicht mehr erinnere, der an einem Mann herumschnippelte, der Larry Hagman sein sollte, erkennbar am Stetson, den er im Frisierstuhl auf dem Schoß hielt (ich war riesiger »Dallas«-Fan). Ein Starfriseur, das war für mich damals völlig klar, musste eben ein Friseur sein, der Stars frisierte. Zu profan erschien mir damals das Haarhandwerk, als dass es jemandem, der ihm nachging, zu eigenständigem Ruhm hätte verhelfen könnte. Udo Walz aber brauchte die Nähe zu den von ihm zurecht ondulierten Glamourmenschen nicht, um zu leuchten, er schaffte das wie selbstverständlich aus seiner eigenen Promiqualität heraus, und wirklich jedes Mal, wenn ich ihn in einem Magazin oder einer Sendung sah, erinnerte er mich an meine Fehlinterpretation. »Er ist ein Star. Deshalb suchen Stars seine Nähe«, schrieb die Unternehmensberaterin Gertrud Höhler in der »Bunten« zu Walz' 60. Geburtstag, und wahrscheinlich stimmt das.
Plauderig wohldosiert
Die Geschichte mit Meinhof war ein seltener genutzter Bestandteil seines Anekdotenarsenals aus Promiminiaturen, die er in Interviews und bei Fernsehauftritten gern und punktgenau ablieferte, stets so plauderig wohldosiert, dass er dabei trotzdem nie indiskret wirkte. Weil er die Geschichten stets nur antoupierte, die Fantasie anregte. Wie er zu Claudia Schiffers 18. Geburtstag in der Concorde nach New York geflogen wurde, um sie für die Feierlichkeiten zu frisieren, wie ihn Roman Herzog tadelte, als er ein paar Minuten zu spät zum Schneidetermin ins Schloss Bellevue gekommen sei, und dass Marlene Dietrich so gern »Quatsch« gesagt hätte, ihr Lieblingswort sei das gewesen. Walz hatte Talent dafür, einem mit solchen schaumigen Kleinigkeiten kurz in seine Welt lugen zu lassen, einen Nachteil hätten diese Geschichten aber: »Man wirkt unendlich alt, wenn man erzählt, dass man die Dietrich frisiert hat.« Und wie war das mit Ulrike Meinhof? Sie kam 1970 zu ihm, um sich ihr dunkles Haar blond färben zu lassen, tarnungshalber, was Walz nicht ahnte, weil er sie nicht erkannt habe, weswegen er ihr zu haarschonenderen Strähnchen geraten hätte. Aber seine Kundin habe auf dem nicht sehr vorteilhaften blonden Kurzhaarschnitt beharrt, den er dann später auf Fahndungsplakaten wiedererkannt habe.
Damals schnitt Walz noch in einer Altbauwohnung in der Fasanenstraße. 1963 war er nach Berlin gekommen, geboren wurde er 1944 in Waiblingen, als Sohn eines Lkw-Fahrers und einer Fabrikarbeiterin. Vergnügt kokettierte er gern damit, dass er seine Friseurlehre, noch in Schwaben, als Drittschlechtester unter 600 Prüflingen abgeschlossen hätte. Mit 18 arbeitete er in einem Salon in St. Moritz, wo er sich »Monsieur Boris« nannte, der Flamboyanz wegen, und frisierte dort auch Marlene Dietrich.
Berlin sollte dann eigentlich nur eine Station für den Sprung nach New York sein, doch weil es Walz gefiel, blieb er. Und geriet eher zufällig in die prominenten Kreise, als er für eine erkrankte Kollegin einsprang und ein seinerzeit berühmtes Model frisierte. Bald machte er auch die Haare für die Frauen auf den »Brigitte«-Titelbildern und im Otto-Katalog und reiste mit dem Fotografen F. C. Gundlach um die Welt, arbeitete für Wolfgang Joop und Jean-Paul Gaultier. Zuletzt hatte Walz fünf Salons, drei davon in Berlin, einen in Potsdam und einen auf Mallorca, auch wenn er selbst nur noch sehr wenige Stammkundinnen frisierte, war er täglich da, um »zu sitzen und zu gucken«, zu beraten und zu kommentieren, und vor allem verbal zu shampoonieren, die sehr berühmten, weniger berühmten und kein bisschen berühmten »Madames«, wie er seine Kundinnen gern nannte.
Ich interviewte Udo Walz im Frühjahr, in einem meiner unmadamigsten Momente: Im Corona-Rappel des ersten Shutdowns hatte ich mir gerade mit der Küchenschere selbst den Pony geschnitten, unsachgemäß an meinen Haaren herumgestuft und eine abgelaufene Billigfärbung darübergetüncht, als ich erfuhr, dass ich am nächsten Tag über Skype mit ihm sprechen würde. Es gibt heute nicht mehr viele Promis, die beides haben, Talent für die lustige Show und völlig humorlose, sachliche Kompetenz in ihrem Feld. Dass Walz bei aller Freude am Spaßigen immer noch eine frisürlich-fachliche Respektsperson geblieben war, spürte ich schließlich selbst, weil mir ungewohnt bammelig wurde bei der Aussicht, meine Dilettantenfrisur von dem Mann begutachten zu lassen, der auch der Kanzlerin die Haare schneidet.
Haus der 1000 Lampen
Ich erzählte Walz gleich zu Beginn des Gesprächs von meinem Übersprungsgeschnippel, er ließ mich den Laptop um meinen Kopf schwenken, um das ganze Ausmaß zu überschauen, und fällte dann ein gnädiges Urteil. Wir unterhielten uns über unsere geteilte Begeisterung für sehr ausgiebiges Fernsehen und über Pudelfrisuren und darüber, dass es immer möglichst hell sein soll in seinem Leben: Überall in seinem Heim habe er Licht installieren lassen, »das Haus der 1000 Lampen« würden es seine Freunde nennen. Als Kind habe er Angst vor dem Dunkeln gehabt, darum lasse er das Licht heute auch nachts an. Das passt dazu, wie gern er im Rampenlicht stand, bei den anderen Glitzermenschen. Als ich einen Screenshot von uns beiden machen wollte, bestand er darauf, dabei möglichst Sean-Connery-haft auszusehen. Auch das war eine seltene, besondere Walz-Qualität: leicht belustigt auf sich selbst schauen zu können, ohne sich dabei über Gebühr zu veralbern. Walz hatte Gastauftritte in Fernsehserien wie »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« und »Notruf Hafenkante« und mit »Bei Anruf Udo« eine eigene Rubrik bei »Circus HalliGalli«, in der er feine Selbstironie zeigte, ohne sich zum ulkigen Maskottchen verkulten zu lassen – selbst, als er einmal verkleidet als prominenter »Berghain«-Türsteher mit aufgemalten Gesichtstattoos und versteckter Kamera Berliner Klubgänger foppte, gelang ihm das höchst würdevoll, das muss man mit damals Anfang 70 erst einmal hinkriegen.
Ob man sich denn nicht wenigstens unter erschwerten Corona-Bedingungen auch mal gehen lassen, in häuslicher Sozialdistanz wenigstens ein bisschen verwahrlosen lassen dürfe, wollte ich ihm bei unserem Skypegespräch zum Schluss noch eine Verschmuddelungsabsolution abringen. »Gehen lassen finde ich furchtbar«, sagte er, »man muss schon darauf achten, dass alles sitzt, sonst kriegt man vielleicht Depressionen.« Und fügte dann noch einen typischen Walz-Satz an, der in vielen seiner Gespräche vorkam und der die heitere Nonchalance, die oft in seinem leicht angedackelten Blick lag, vielleicht am besten ausdrückt: »Aber jeder, wie er will.« »Es ist, wie es ist«, war noch einer dieser Sätze. Und: »Das Leben ist keine Generalprobe.« Noch ein Walz-Bonmot als Schlusswort?, fragte ich ihn irgendwann. Walz lachte und knipste sein Licht an: »Who wants to live forever? Da sage ich immer: Ich!«
Udo Walz ist am Freitag an den Folgen eines Diabetes-Schocks gestorben.
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