Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass genau in dem Moment, da der Öffentlichkeit – sofern sie über ein Netflix-Abo verfügt – wieder einmal die erhebliche Verkorkstheit der britischen Monarchie vor Augen geführt wird (nämlich im Fernsehdrama "The Crown"), sich diese auch im echten Leben offenbart.
Am vergangenen Mittwoch, einen Tag vor dem Thanksgiving-Fest, erschien in der »New York Times« ein bemerkenswerter Essay von Meghan, Herzogin von Sussex, gebürtige US-Amerikanerin, verheiratet mit Prinz Harry, Nummer sechs der britischen Thronfolge.
Meghan beschreibt in dem Beitrag den Moment im vergangenen Juli, als sie ihr zweites, ungeborenes Kind verlor. Sie schildert, wie der Schmerz plötzlich einsetzte, schreibt von ihrer Trauer, der Gefahr der nachhaltigen Traumatisierung. Sie sei kein Einzelfall; 10 bis 20 Prozent aller Frauen erlitten eine Fehlgeburt.
Sie reflektiert, unter welchen Umständen sich ihre persönliche Tragödie vollzogen hat. Die Welt im Ausnahmezustand der Corona-Pandemie, ihr Land, die USA, tief gespalten in elementaren Fragen, über die seit Generationen ein unerschütterlicher Konsens zu bestehen schien: Was ist Fakt, was lehrt uns Wissenschaft? Ein Land, in dem sich 2020 erneut ein brutaler Rassismus offenbart, der Menschenleben kostet.
Dann nimmt die Herzogin einen roten Faden wieder auf, ein Leitmotiv, das schon 2019 ihre Emanzipation von der britischen Königsfamilie signalisierte. Es ist die Forderung nach dem Menschlichsten, was Menschen einander anbieten können – Empathie. »Are you ok?«, geht’s dir gut? Wenn man einander nur diese einfache Frage zu stellen bereit sei, könne man Vereinzelung und Isolation überwinden.
Der Essay ist klug komponiert, in seiner nahtlosen Verknüpfung von persönlichem Erleben, Gesellschaftsanalyse und appellativem Gestus. Die Feministin Sussex macht Privates politisch und damit den körperlichen und seelischen Schmerz ihrer Fehlgeburt zur Waffe gegen die für Frauen permanente Gefahr der Sprach- und Hilflosigkeit.
Das Gros der ernst zu nehmenden Reaktionen auf den Beitrag ist denn auch positiv. Frauen, die das Schweigen über Fehlgeburten als weitere Traumatisierung nach dem Trauma empfinden, Hebammen und Hilfsorganisationen loben die Herzogin für ihren Mut, sich bei diesem sehr tabuisierten Thema zu exponieren.
In sozialen Medien stellte sich neben Beifall aber auch sofort der misogyne, rassistische Furor ein, der sich dort seit Jahren gegen Meghan Markle richtet.
Stellvertretend für viele andere zeigt die Reaktion der britischen Autorin Penny Junor, die Biografien über verschiedene Mitglieder der Windsor-Familie verfasste, das große Missverständnis in Bezug auf die Herzogin, die ja als treibende Kraft bei der Trennung der Sussexes vom Rest der britischen Königsfamilie gilt.
Es sei »verwirrend«, kommentierte Junor, »dass Meghan mit etwas so Persönlichem und Schmerzhaftem an die Öffentlichkeit geht, wenn sie doch wiederholt um Privatsphäre gebeten hat«.
Verwirrend, wirklich? Es ist eigentlich ganz einfach. Es geht um Autonomie, Selbstbestimmtheit, die Macht über das eigene Leben.
Meghan, deren Schwiegermutter Diana in einem Pariser Autotunnel von Paparazzi zu Tode gehetzt wurde, muss es sich nicht gefallen lassen, dass sie von Medien gejagt, bedrängt und ausspioniert wird. Aber natürlich kann sie sehr wohl selbst darüber entscheiden, wann sie Persönliches – zu ihren Bedingungen – öffentlich macht.
Fatal wirkt deshalb die offizielle Stellungnahme des Buckingham-Palastes auf den Essay. Dort hieß es am Mittwoch in dürren Worten, der Beitrag in der »New York Times« sei eine »zutiefst persönliche Angelegenheit, die wir nicht kommentieren werden«. Sauertöpfischer hätte die Reaktion kaum ausfallen können.
Hier offenbart sich wieder einmal das reichlich in die Jahre gekommene britische Monarchieverständnis aus dem 19. Jahrhundert, wonach sich die königliche Familie in einen Mantel aus Schweigen und Unnahbarkeit zu hüllen habe, um die »Magie der Krone« nicht zu gefährden. Auf gleicher Wagenburg-Linie lagen die Windsors, als die Queen nach Dianas Tod 1997 tagelang zögerte, sich mit einem Ausdruck von Empathie an die trauernden Briten zu wenden. Diana war damals kein offizielles Mitglied der Firma Windsor mehr, ihr Tod war Privatsache – so sah man es im Palast. Eine Fehleinschätzung von gigantischem Ausmaß, die erst spät korrigiert wurde und den Nimbus der Queen damals empfindlich beschädigte.
Selbst wenn man nun davon ausgeht, dass die Windsor-Familie mit den Sussexes in Kontakt steht und man Meghans Fehlgeburt im Sommer miteinander besprach: Das offizielle Statement wirkt kalt, abweisend und lässt genau das vermissen, was die Herzogin in ihrem Beitrag fordert. Are you ok?
Eine verpasste Chance.
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